Was ist bedürfnisorientiertes Hundetraining und wie unterscheidet es sich von traditionellen Konzepten?

Veröffentlicht am 16. Januar 2024 um 22:19

Wenn du dich für bedürfnisorientiertes und belohnungsbasiertes Hundetraining interessierst, wirst du immer mal wieder hören und lesen, dass man den Fokus auf erwünschtes Verhalten legt und dieses positiv verstärkt.

Deswegen wird oft auch der Begriff „positives Hundetraining“ verwendet. 

(Unter „Wie wir trainieren“ erkläre ich dir, was man unter positiver Verstärkung versteht und wie sie sich von den anderen drei Quadranten der operanten Konditionierung unterscheidet.)

Positives und bedürfnisorientiertes Hundetraining

Beim bedürfnisorientierten Hundetraining geht es nicht darum, unrealistisch und weltfremd zu sein.

Natürlich kommt es gerade in einer Notsituation vor, dass man seinen Hund anders behandelt, als man es sonst normalerweise tun würde. Bevor der Vierbeiner z.B. vor ein Auto läuft, stoppt man ihn natürlich lieber mit der Leine, auch wenn das in dem Moment ziemlich unsanft sein kann.

Wir unterscheiden aber ganz klar zwischen einer blöden Situation, die das Leben und der Alltag nunmal so mit sich bringen kann, und einer geplanten und strukturierten Trainingseinheit.

Für ein gutes und effektives Hundetraining ist es nicht nötig, aversive Maßnahmen anzuwenden. Vor einer Trainingseinheit haben wir genug Zeit, um uns einen Trainingsplan mit den passenden und geeigneten Schritten zurechtzulegen. In einem vernünftigen Trainingsplan haben Zwang, Druck und Gewalt nichts zu suchen.

Wenn man diese innere Einstellung hat und davon überzeugt ist, dass Hunde ein faires Training verdient haben, dann lässt sich das sehr einfach auch auf den Alltag und die allgemeine Erziehung übertragen. Man geht achtsamer mit seinem Hund um und denkt auch viel mehr über das eigene Handeln nach.

Nach einer Situation wie oben mit dem Auto könnte das so aussehen: „Vielleicht sind Kopfhörer keine gute Idee, wenn ich mit meinem Hund draußen bin. Das Auto habe ich überhaupt nicht gehört!“ oder: „Oh, wenn Bello einen Skater vorbeifahren sieht, ist er nicht mehr zu stoppen und rennt einfach auf die Straße. Notiz an mich selbst: daran müssen wir unbedingt trainieren!“


Faires und effektives Hundetraining

Faires Hundetraining mit kleinschrittigem Trainingsplan

Und in so einem Trainingsplan steht dann nicht als Lösung: Ich ziehe ruckartig an der Leine, am besten noch am Halsband, damit er ordentlich fühlt, dass er das beim nächsten Mal nicht machen darf!

Stattdessen trainieren wir an Bellos Reaktion auf Skater. Und zwar fair, in kleinen Schritten und mit angenehmer Emotionslage bei Hund und Mensch. Wir brauchen keinen Leinenruck, kein bedrohliches Blocken mit unserem Oberkörper, keine Zischlaute, kein Kneifen, keine Wasserspritze und auch kein Anschreien.

Wir überlegen uns, was Bello als Alternativverhalten zeigen soll. Statt den Skater zu verjagen, könnte er z.B. zu uns schauen, danach wechselt er hinter unserem Rücken zu der vom Skater abgewandten Seite und geht in einem Bogen ruhig neben uns weiter.

Durch kleinschrittiges Training werden wir schnell vorankommen und schon bald die ersten Erfolge sehen. Klingt paradox? Gerade die kleinen Schritte werden uns im Training schnell und dauerhaft erfolgreich nach vorne bringen! Und ja, du musst auf Zack sein und an deinem Timing arbeiten. Aber das müsstest du beim Strafen und Korrigieren auch! Eine aversive Maßnahme ohne ein perfektes Timing wirkt lerntechnisch nicht als Strafe (Strafe = das Auftreten des Verhaltens wird weniger wahrscheinlich).


Strafe als lernpsychologischer Begriff

Damit Strafe überhaupt funktioniert, müsstest du neben dem perfekten TIMING (auch! Nicht oder!) noch gewährleisten,

  • dass du JEDES Mal strafst, wenn dein Hund das unerwünschte Verhalten zeigt. Dies ist im Alltag unmöglich umzusetzen.
  • dass du die RICHTIGE INTENSITÄT triffst: Ist die Intensität der aversiven Maßnahme zu gering, überlagert die Selbstbelohnung den Strafreiz. Hier besteht einerseits die Gefahr einer Traumatisierung und andererseits besteht im Fall einer zu geringen Intensität die sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Hund sich an die Strafe gewöhnt. Als Konsequenz müsste die Intensität mit der Zeit immer weiter gesteigert werden.
  • dass dein Hund NICHTS anderes als das unerwünschte Verhalten mit deiner Strafe verknüpft. Nicht das Kind, welches in dem Moment zufällig vorbei läuft. Nicht dich. Nicht den Ort. Nicht den anderen Hund. Hier besteht also die große Gefahr einer folgenschweren Fehlverknüpfung.

Ganz schön heftig, oder? Was der Psychologe B.F. Skinner da rausgefunden hat, bereitet einem nur beim Lesen schon Bauchschmerzen. Hinzu kommt, dass Hunde durch das Erfahren einer Strafe nicht automatisch wissen können, was stattdessen von ihnen erwartet wird. Beim Spazierengehen kann man oft beobachten, wie Hunde von ihren Menschen an der Leine zurückgerissen werden, wenn sie noch nicht leinenführig gehen können.

Man geht davon aus, dass der Hund doch langsam kapieren muss, dass er nicht ziehen soll. Aber basierend auf WAS soll der Hund zu dieser Schlussfolgerung kommen? Zum Zeitpunkt des Zurückreißens sind neben dem, was man korrigieren wollte (die gespannte Leine) noch mehr Dinge passiert, die der Hund in dem Moment wahrgenommen hat. Der Hund soll mit all diesen Umwelteindrücken die Korrektur ausgerechnet und ausschließlich mit der gespannten Leine verknüpfen und dazu noch irgendwie erahnen, was stattdessen von ihm verlangt wird.

Da üben wir das richtige Timing doch lieber in der Disziplin „Loben und Belohnen“ 😊 und riskieren nicht die tolle Beziehung zu unserem Hund! Mit einem bedürfnisorientierten Training festigen wir die Bindung ganz von alleine und wie nebenbei. Irgendwelche Extra-Übungen zum Bindungsaufbau, wie sie früher oft gerne angeboten wurden, braucht man nicht!

Natürlich ist ein Training nicht automatisch positiv, nur weil man Belohnungen einsetzt. Wir müssen darauf achten, dass wir unsere Hunde nicht überfordern. Wir müssen genügend Pausen einplanen, auf Frustration achten und ungewollte Verhaltensketten vermeiden. Hat man kein gutes Timing und keine passenden Verstärker, ist das Training nicht sehr effektiv. Ja, auch in diesem Training gibt es viele Stolperfallen. Aber die Konsequenzen eines Fehlers, und Fehler sind nunmal menschlich, sind nicht so verheerend wie beim Strafen.


Der beste Freund des Menschen

Der Hund als bester Freund des Menschen.

Die Psyche des Hundes ist nicht so komplex wie unsere. Dadurch ist sie jedoch in mancher Hinsicht auch sympathischer. Wusstest du, dass das Lieblingstier von Jane Goodall nicht Schimpansen oder andere Primaten sind, sondern Hunde?

Aggressives Verhalten von Hunden ist funktional – das von uns Menschen nicht immer. Manche von uns zeigen aggressives Verhalten auch unter anderem aus Freude daran, Macht auszuüben und andere zu unterdrücken.

Wenn man analysiert, welche Funktion, also welches Bedürfnis, hinter einem unerwünschten Verhalten steckt, kann man dies in einem positiven Verhaltenstraining adressieren und somit MIT dem Hund arbeiten. Das ist doch viel angenehmer, als über Strafen GEGEN ihn und gleichzeitig auch gegen seine Emotionen und Bedürfnisse zu arbeiten.


Die Sache mit den Grenzen setzen

Orientierung geben statt Grenzen setzen.

Wenn es eine Aussage gibt, über die man immer und immer wieder stolpert in Bezug auf Hundeerziehung, ist es diese:

„Ein Hund braucht konsequente Führung und ganz klare Grenzen, sonst tanzt der dir auf der Nase rum!“

Was macht dieser Satz mit dir? Welche Bilder tauchen gerade in deinem Kopf auf?

Hunde leben als eine andere Spezies in unserer Menschenwelt. Wir sollten ein guter Reiseleiter für sie sein und ihnen die Regeln unseres Alltags auf eine faire und für sie verständliche Art und Weise beibringen. Dazu muss man wissen, wie Hunde lernen. Anstatt ein altmodischer Chef zu sein, der seine Untergebenen empathielos und demotivierend in die Schranken weist, sollten wir uns als Coach oder Reiseleiter für unsere Hunde sehen. Indem wir ihnen zeigen, welche Verhaltensweisen in unserem Alltag erwünscht sind, geben wir ihnen automatisch Führung und stecken damit auch gleichzeitig die Grenzen ab zum unerwünschten Verhalten.


Kommt dir folgende Unsicherheit bekannt vor?

„Ich möchte meinen Hund nicht konditionieren. Ich habe gehört, dass Training über die Beziehungsebene besser ist. Er soll schließlich auch ohne Leckerli gehorchen.“

Hundetraining mit Belohnungen.

Das Wort „Konditionierung" ist negativ behaftet, da es in Verbindung gebracht wird mit Erziehung ohne Beziehung, mit Dressur, emotionslosem Training und Manipulation.

Dass Wörter unter Umständen einen komischen Beigeschmack bekommen können, ist kein seltenes Phänomen.

Man kann es auch bei dem Begriff „Dominanz“ beobachten. Die Dominanz wurde im Hundetraining als Erklärung für jegliches Problemverhalten missbraucht und musste dafür herhalten, um äußerst fragwürdige Erziehungs- und Trainingsmaßnahmen rechtfertigen zu können. Um sich von den Anhängern der überholten Dominanztheorie abzugrenzen, verwenden wir inzwischen lieber den Begriff „sozialer Status“, und dies auch nur, um die Beziehung von Hunden untereinander zu beschreiben.

Es ist wissenschaftlich belegt, dass diese Ebene (Dominanz oder sozialer Status) für den Hund in seiner Beziehung zum Menschen keine Rolle spielt. Es geht deinem Hund also nicht um eine Machtposition, wenn er auf deinem Lieblingssessel liegen möchte; es riecht einfach nur so toll nach dir 😊. Und wenn er während deiner Abwesenheit diesen Sessel zerfetzt und vielleicht noch eine Pfütze auf dem guten Parkett hinterlässt, macht er das nicht, weil er dich kontrollieren oder bestrafen will. Es sind Zeichen dafür, dass er massiven Stress hat und unter der Trennung leidet.

Ein weiteres Beispiel ist der Begriff „Trieb“, der uns dazu verleitet, bestimmte Verhaltensweisen von Lebewesen nur sehr eingeschränkt und vereinfacht zu betrachten. Er wird der Komplexität von Verhalten nicht gerecht, weshalb Biologen ihn nicht mehr verwenden. Wörter wie beispielsweise „Jagdverhalten“ oder „Beutefangverhalten“ sind weitaus treffender als „Jagdtrieb“.

Das Wort „Konditionierung“ kann man gleichsetzen mit dem Wort „Lernen“. Es bedeutet im Prinzip nichts anderes. Ohne Konditionierung ist Lernen nicht möglich. Wenn wir die operante Konditionierung anders benennen möchten, können wir auch „Lernen am Erfolg“ sagen. Jedes Lebewesen lernt auf diese Art und Weise, auch wir Menschen.

Wenn ein Elefant zu dem Wasserloch in seiner Nähe geht, und sieht, dass es ausgetrocknet ist, dann wird er vielleicht noch einmal den Versuch starten, um zu schauen, ob dort wirklich kein bisschen Wasser mehr zu holen ist. Aber spätestens dann wird er einsehen, dass er sich ein anderes Wasserloch suchen muss, um nicht zu verdursten. Sein bisheriges Verhalten führt nicht zum Erfolg, er muss sein Verhalten also anpassen. Diesen Vorgang nennt man Lernen. Oder auch operante Konditionierung. 😉

Bei dem Elefanten ist das Durststillen die Belohnung für das Verhalten „zum Wasserloch gehen“. Um das Auftreten von Verhalten wahrscheinlicher zu machen, braucht man also Belohnungen, oder fachlich ausgedrückt: Verstärker.

Neben Spielen, Loben und anderen funktionalen Verstärkern ist Futter eine richtig gute Möglichkeit, das erwünschte Verhalten deines Hundes zu belohnen. Man kann es überall mitnehmen und sehr kontrolliert einsetzen. Leberwurst für den Rückruf, kleinere Bröckchen für das Tricktraining, man kann Futter werfen und den Hund hinterherjagen lassen, man kann es verstecken und den Hund danach suchen lassen; Futterbelohnung ist so vielfältig!

Zum anderen ist Futter geben ein sehr ursprüngliches Verhalten. Welpen erfahren bei ihrer Mutter Schutz, Wärme, Geborgenheit und Sattwerden. Nahrung zur Verfügung stellen ist Bindungsverhalten. Das ist doch etwas sehr Schönes!

Scheue dich also nicht davor, das tolle Verhalten deines Hundes mit Futter zu verstärken und habe keine Angst vor Konditionierung. Sie ist nichts Schlimmes und ist keine Dressur. Wir alle benötigen sie, um lernen zu können. Sie hilft dir dabei, deinem Hund neue Dinge beizubringen und ist sogar gut für eure Beziehungsebene, da du ja basierend auf positiver Verstärkung trainierst. Bei dieser Art des Trainings empfindet dein Hund Freude und er baut mehr Vertrauen auf, wodurch eure Bindung noch inniger und stärker wird.


Bedürfnisorientierte Erziehung ist nicht gleichzusetzen mit antiautoritärer Erziehung.

Es ist ein Missverständnis, dass man dem Hund alles durchgehen lässt und problematisches Verhalten ignoriert und aussitzt.

Was bedeutet positiv?

Bedürfnisorientiertes Hundetraining wird immer beliebter.

Die meisten Hundebesitzer möchten nicht mehr wie vor 20 Jahren auf dem Hundeplatz stehen und ihren Vierbeiner anbrüllen.

Die Anfänge des Hundetrainings stammen aus dem Militär, wo Hunde für unterschiedlichste Einsätze ausgebildet wurden. Daher hörst du bei den meisten Hundeschulen auch noch das Wort „Kommando“, in manchen Vereinen sogar noch „Befehl“.

Viele Menschen möchten umdenken und zeitgemäßer mit ihrem Hund als Sozialpartner umgehen. Um der Nachfrage gerecht zu werden, passiert das, was so ziemlich in jeder Branche passieren würde: Man benutzt attraktive Schlagwörter und Verkaufsversprechen, die aber leider nichts über die Qualität des Inhaltes aussagen.

Hinter dem Begriff „Positives Hundetraining“ kann sich also so allerlei verbergen und es gibt keine allgemein gültige Definition. Gerade in den letzten Jahren wird sehr viel über das Verhalten unserer Hunde geforscht, wodurch das Thema Weiterbildung auf diesem Gebiet immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Man weiß inzwischen, dass Ignorieren nur bei sehr wenigen Verhaltensweisen hilft und das auch nur in der Theorie. Es ist sehr wichtig, unerwünschtes Verhalten zügig zu unterbrechen, damit der Hund es nicht weiter ausübt und es sich somit nicht noch weiter festigen kann.

Unser Training an Problemverhalten ist weit entfernt von Ignorieren und Abwarten. Folgende Elemente sind sehr entscheidend:

  • Zum einen wollen wir unerwünschtes Verhalten so sanft wie möglich unterbrechen und stattdessen ein Alternativverhalten abfragen. Dies bedeutet in der Praxis, dass man Unterbrechungssgignale und Alternativverhalten positiv aufbaut und erstmal unter Normalbedingungen trainiert, damit der Hund sie später auch in schwierigen Situationen ausführen kann. Man kann es mit dem Bau eines soliden Hauses vergleichen: Man braucht ein starkes Fundament, welches man nicht während eines Erdbebens errichtet.
  • Zum anderen haben wir immer im Hinterkopf: Vor jedem unerwünschten Verhalten kommt erwünschtes Verhalten. Wenn man dieses Verhalten verstärkt, wird das unerwünschte Verhalten immer weniger auftreten und wir benötigen auch immer weniger Verhaltensunterbrecher.

Fazit

Positives Hundetraining ist für alle Hunde geeignet.

Du siehst: Bedürfnisorientiertes Training ist sehr vielschichtig und äußerst effektiv. Es kann sehr komplex sein und ja, ich gebe zu, manchmal kann es etwas verkopft wirken. Aber ein bisschen Wissen und Nachdenken vor dem Handeln ist bestimmt nicht die schlechteste Grundlage.

Es wird hoffentlich deutlich, dass unser Training nicht nur für Tricks und Dogdance geeignet ist, sondern gerade auch im Bereich Erziehung und Problemverhalten das Mittel der Wahl sein sollte.

Und was hoffentlich auch deutlich wird, ist, dass es für ALLE Hunderassen geeignet ist, auch für den Deutsch Drahthaar, den Rottweiler, den Malinois, Staffy, Bully & Co. 😊


In meinem nächsten Blogbeitrag werde ich mehr auf das Thema Konditionierung eingehen, insbesondere auf die klassische Konditionierung. Warum ist sie so wichtig im Hundetraining und was hat das alles mit dem Clicker zu tun? Oder gibt es vielleicht sogar eine praktische Alternative, weil das kleine Plastikding eben keine magische Fernbedienung ist und es in Wirklichkeit auf etwas ganz anderes ankommt?

Bleib neugierig und hinterfrage immer!