Lob ist keine Wurst. Warum Hunde mehr verdienen als ein ‚So-isser-fein‘ – und Menschen sich damit schwertun

Veröffentlicht am 7. März 2025 um 16:36

Belohnungen sind gut für die Bindung zum Hund.

Positive Verstärkung, also das Belohnen von erwünschtem Verhalten, gilt als eine der effektivsten und tierfreundlichsten Methoden im Hundetraining.

Dennoch beobachte ich gerade in der Verhaltensberatung, dass Hunde oft nur wenig für angemessenes und erwünschtes Verhalten belohnt werden. Dabei zieht das unerwünschte oder problematische Verhalten häufig die gesamte Aufmerksamkeit auf sich.

Erfahre in diesem Artikel, was uns beim Belohnen gedanklich und gesellschaftlich im Weg steht, und warum wir es trotzdem machen sollten. 💡🎁

Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen! 🐶📚👓


Psychologische Faktoren


Wir Menschen haben eine natürliche Tendenz, uns stärker auf negative Ereignisse zu konzentrieren als auf positive. Dieser Vorgang wird als „Negativitäts-Bias“ bezeichnet. Er dient evolutionär dazu, negative Erlebnisse und potenzielle Gefahren schneller wahrzunehmen, einzuordnen und als Folge zu vermeiden.

Im Zusammenleben mit unseren Hunden bedeutet es, dass unerwünschtes Verhalten wie Bellen, Anspringen oder Ziehen an der Leine mehr Aufmerksamkeit verursacht als erwünschtes Verhalten, welches wir als normal wahrnehmen.

Wenn ein Hund ruhig an der Leine geht oder entspannt auf seiner Decke liegt, nehmen viele Menschen dieses Verhalten als selbstverständlich hin.

Oft höre ich im Verhaltenstraining folgende Verwunderung: „Dafür soll ich ihn belohnen? Das hat er doch von sich aus gemacht.“ Oder: „Wieso muss ich jetzt belohnen? Der andere Hund ist so weit weg, da prescht er jetzt sowieso nicht nach vorne.“

Wir sollten uns bewusst machen, dass jede Situation im Alltag eine Lernerfahrung für unsere Hunde ist – auch, wenn wir sie nicht offiziell ‚Trainingseinheit‘ nennen. Wenn gutes Verhalten im Alltag nicht belohnt wird, fehlt eine wichtige Rückmeldung.

Durch die Belohnung kommunizieren wir mit dem Hund und informieren ihn: „Das, was du gerade tust, hat gute Konsequenzen für dich.“ Und Verhalten mit positiven Konsequenzen wird in Zukunft öfter, schneller und/oder intensiver in Erscheinung treten. Es wurde verstärkt.

Um bei dem obigen Beispiel zu bleiben:

Hat dein Hund Begegnungsprobleme, aber er schafft es auf größerer Distanz, sich vom Auslöser abzuwenden, zu dir zu schauen oder am Boden zu schnüffeln?

Belohne dieses Verhalten! Du könntest ihn z.B. Futter im Gras suchen lassen oder ihm eine Futtertube zum Schlecken anbieten. Gehe auf sein Bedürfnis nach mehr Abstand zum Auslöser ein und laufe mit ihm in einem Bogen weiter.

Bogenlaufen bei Hundebegegnungen

Dein Hund lernt, dass nicht nur aggressives Vorpreschen zu Verstärkung führt. Auch das Abwenden, am Boden schnüffeln und das Bogenlaufen verhindern den ungewünschten Kontakt mit dem Auslöser.

Er speichert für sich ab, dass du auf seine körpersprachlichen Signale eingehst, ihm Sicherheit gibst und ihr gemeinsam als Team solche Situationen meistert – eine großartige Lernerfahrung für ihn!

Mit diesem Vortraining bereitet ihr euch gemeinsam Schritt für Schritt auf schwierigere Begegnungen vor. Das erwünschte Verhalten wird stabiler, weil es mit viel Verstärkung aufgebaut wurde. Dies ist nachhaltiger und kontrollierbarer als das unerwünschte Verhalten mit Schreckreizen zu hemmen und zu deckeln.

Außerdem ist es für eure Bindung besser, keine Strafen einzusetzen. Dein Hund würde lernen, dass zu der blöden Begegnung mit dem Auslöser zusätzlich auch noch eine Bedrohung von seinem Menschen ausgeht.

Hast du schonmal die Bedenken gehört, dass der Einsatz von Belohnungen überholt ist, da die Methode der Konditionierung schon sehr alt sei?

Wissenschaftsbasiertes Hundetraining

Bevor die Wissenschaft die Wirkmechanismen von Verstärkung auf Verhalten entdeckte, dachte man, dass einfach nur die Vielzahl der Wiederholungen eines Verhaltens dieses Verhalten öfter auftreten ließ.

Man ging davon aus, dass es „geübt“ wurde, dadurch einfacher auszuführen war und deshalb öfter gezeigt wurde.

Bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wissen wir, dass es die Verstärkung ist, welche Verhalten aufrechterhält.

  • Wir verhalten uns, weil wir positive Verstärkung anstreben: wir möchten Angenehmes erfahren.
  • Oder wir zeigen Verhalten, um an negative Verstärkung zu gelangen: wir möchten Unangenehmes beenden oder vermeiden.

Es handelt sich also nicht um eine Methode, sondern um grundlegende, wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich mit dem Lernen und Verhalten von Lebewesen beschäftigen.

Lass dich bitte nicht von dem Scheinargument verwirren, dass dieses Prinzip schon sehr alt ist und deswegen überholt sein muss. Die Wirkmechanismen wurden Ende des 19. Jahrhunderts von Edward Thorndike entdeckt, aber nicht erfunden. Sie bestanden schon immer als Teil der Evolution von Lebewesen. Es ist wie mit Newton und seinem Apfel. Er hat die Schwerkraft weder erfunden, noch würde irgendjemand behaupten, dass sie inzwischen veraltet sei, da Newtons Gravitationsgesetz aus dem Jahre 1687 stammt.

Umlernen ist immer schwierig

Hunde belohnungsbasiert zu begleiten erfordert ein bisschen Nachdenken, Achtsamkeit und ein gutes Timing. Zu Anfang des Trainings verpassen Menschen oft den richtigen Moment, um positives Verhalten zu verstärken, und reagieren stattdessen wieder auf das unerwünschte Verhalten. Gerade im Alltag durch Stress und Überforderung kann das schnell passieren.

Gib dir Zeit für Veränderung und sei geduldig mit dir. Nicht nur deinem Hund fällt es schwer, neue Verhaltensweisen zu trainieren. Auch Menschen brauchen mehrere Wochen, bevor sich neue Gewohnheiten wirklich festigen können.

Betrachte es als Reise mit deinem Hund. Auf schönen Reisen genießen wir auch den Weg zum Ziel. Er ist ein Teil des Abenteuers und der neuen Erfahrung. 😊


Soziokulturelle Einflüsse


Schauen wir uns allgemein die Rolle von Strafe in der Gesellschaft an, fällt uns auf, dass traditionelle Erziehungsmethoden, sowohl bei Kindern als auch bei Hunden, stark auf Strafe ausgerichtet sind.

Der Gedanke, dass Konsequenzen unerwünschtes Verhalten unterbinden, ist tief in vielen Kulturen verankert.

„Das wird Konsequenzen haben!“ impliziert eigentlich immer, dass da wohl nichts Schönes auf uns zukommt.

Soziokulturelle Einflüsse in der Hundeerziehung

Es sind diese vertrauten Denkmuster und unsere gesellschaftlichen Strukturen in Hierarchien, die der Eindämmung von veralteten und widerlegten Rangordnungskonzepten in der Hundewelt im Wege stehen.

Denkmuster laufen automatisch ab und sind so tief verankert, dass sie sogar gegen wissenschaftlich belegte Fakten sehr resistent sind:

  • „Erziehung beinhaltet auch Strafen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das sonst gehen sollte!“
  • „Erziehung ist nicht nur spaßig! Wer nicht hören will, muss fühlen!“
  • „Bei schweren Fällen geht es halt nicht anders. Wie soll man Aggression wegkeksen?“

Hundetraining im Fernsehen und auf Social Media bedient leider sehr oft diese eingefahrenen Denkmuster für Quote und Klickzahlen.

Wenn Menschen tagtäglich mit körpersprachlichem Druckausüben, Bedrängen, Blocken, Zischlauten, Schreckreizen, Kniffen, Schnauzengriff und Leinenruck konfrontiert werden, übernehmen sie es irgendwann selbst und hinterfragen es nicht mehr.


Im Kern geht es letztlich nicht um die Frage, welches die eine richtige Trainingsmethode ist, sondern um Weltbilder, Wertesysteme und persönliche Glaubenssätze.

👉  Wie sehe ich meinen Hund? Welche Rolle spielt er in meinem Leben?

👉  Wie will ich mit ihm umgehen?

👉  Welche Werte sind mir wichtig?

👉  Und passt die Philosophie eines Trainers wirklich zu mir?


Mittlerweile behauptet fast jede Hundeschule, dass sie auf „Dominanzgedöns“ verzichtet. Jeder wüsste ja inzwischen, dass das überholt sei, und man bildet sich ja schließlich weiter, so wird behauptet.

Dazu gehört jedoch mehr, als sich nur vom Praktizieren der „Alpharolle“ zu verabschieden. In ihren Posts ist weiterhin die Rede von „Statusaggression“ und „Raumverwaltung“. Hunde würden über den Raum, der ihnen zur Verfügung steht, ihren Rang und Status definieren. Derjenige, der den Raum verwaltet, stünde im Rang höher. Stellt dein Hund sich dir in den Weg, wolle er mit dieser Geste deine Führungsposition übernehmen.

Hierfür gibt es eine sehr passende Beschreibung: Alter Wein (Dominanz) in neuen Schläuchen (Raumverwaltung, Verbindlichkeiten einfordern, Strenge vermittelt Sicherheit, etc.)

Neben alten Wein in neuen Schläuchen finden wir leider auch sehr oft Verharmlosungen. Zum Beispiel beim Strafen mit der Wasserspritze… „Hey, ist doch nur Wasser“

Wenn ich Bilder von Wasserwerfern, Tsunamis oder Überflutungen sehe, über Waterboarding lese oder meine Nachbarn aufgelöst von ihrem Wasserrohrbruch berichten, dann kommt mir nicht in den Sinn zu denken „Hey, ist doch nur Wasser“. Es geht nicht um das Wasser.


Die Angst vor Verwöhnung


Man hört auch die Meinung, dass Hunde durch häufiges Belohnen verwöhnt und verzogen werden und keine Grenzen erfahren. Dieser Irrglaube basiert auf einem Missverständnis von positiver Verstärkung und führt dazu, dass Menschen skeptisch gegenüber Belohnungen sind. Sie haben Angst, die Kontrolle über ihren Hund zu verlieren und dass er ihnen auf der Nase herumtanzt. 

Erst neulich noch hörte ich eine Influencerin sagen: „Ich hatte lange Zeit Angst vor Hunden, da ich als Kind gebissen wurde. Aber vor dem Hund meiner Bekannten habe ich keine Angst – der wurde erzogen!“

Ein erzogener Hund beißt also nicht? Und Hunde, die nicht erzogen wurden, beißen? – Geht diese Gleichung auf?

Nein. Und sie führt uns vor Augen, über welche verworrenen Gedankengänge es zu der Meinung kommt, dass positiv trainierte Hunde aggressiv und unkontrollierbar wären und deshalb unsere Tierheime voll sind.

Hunde sind keine Streitsucher

Unter belohnungsbasiertem Training verstehen diese Influencer fälschlicherweise, dass Hunde alles tun dürfen, was sie möchten, also im Prinzip keinerlei Einwirkung stattfindet.

Gleichzeitig fehlt es an Fachwissen, wenn beispielsweise behauptet wird, dass es Hunde gäbe, die Freude an Aggression haben.

Ein sicheres Drohen oder offensives Verhalten wird missinterpretiert mit „Der Hund hat Bock auf Krawall“. Und bei solchen Hunden könne man halt nicht mit Keksen arbeiten. Das wäre verantwortungslos und gefährlich.

Das geben sie so auch an ihre Kunden weiter, die sichtlich schockiert in den Videos zu sehen sind. Das muss man erstmal verarbeiten: Der eigene Hund sei prollig und hätte Spaß daran, andere Hunde zu verkloppen. Man müsse jetzt hart durchgreifen und ihn in seine Schranken weisen. Wo soll das sonst noch enden? Man sei die ganze Zeit anscheinend viel zu lasch gewesen.

Mithilfe der auf Provokation und Polarisierung getrimmten Algorithmen verbreiten sich diese Posts rasend schnell im Netz und werden von sehr vielen Hundemenschen angeschaut.

Im Hinterkopf erscheinen vielleicht noch leise warnend die Erkenntnisse vom letzten Team-Building-Event mit den netten Kollegen und dem gebuchten Kommunikationscoach:

„Druck erzeugt Gegendruck“, „Aggression kann man nicht mit Aggression lösen“, „Empathie ist der Schlüssel“, …

Aber da im Video steht ja der Hunde-Experte, gerne mit einem imposanten Malinois, Dobermann oder Rottweiler an seiner Seite… der muss sich auskennen. Und hey, ist ja nur Wasser.


Du möchtest es anders machen und deinen Hund belohnungsbasiert begleiten? Du weißt aber noch nicht so richtig, wie du anfangen sollst?

Schau dir hierzu gerne auch diesen Blogbeitrag über passende Belohnungen an.

Die beste Grundlage für eine harmonische Beziehung mit deinem Hund ist, seine Muttersprache zu erlernen.

🐶 Zu diesem Thema haben Nala und ich drei richtig gute Empfehlungen für dich:

Ausdrucksverhalten 2.0 – 5-teilige Webinar-Reihe mit Dr. Ute Blaschke-Berthold auf dog-ibox.com

Sprich Hund – Buch von Christiane Jacobs

Emotionen bei Hunden sehen lernen: Eine Blickschule – Buch von Katja Krauß und Gabi Maue

Foto von Nala mit Empfehlungen