Muss mein Hund mich respektieren? Ein neuer Blick auf das Zusammenleben mit Hunden und ein Ausflug in die Tierethik

Veröffentlicht am 3. Oktober 2024 um 17:26

Respekt ist ein zentrales Konzept in menschlichen Beziehungen, oft verbunden mit dem ethischen Umgang miteinander, der Anerkennung der Würde und Rechte des Einzelnen.

Das Verständnis von Respekt beeinflusst in großem Maße, wie wir andere Menschen behandeln, welche Einstellung wir ihnen gegenüber haben und wie wir mit ihnen kommunizieren.

Furry Fellows_Dog Training meets Philosophy

Doch was bedeutet Respekt aus Sicht unserer Hunde?

Wird hier eventuell ein menschliches Konzept auf Tiere übertragen, die unsere Auffassung von Höflichkeit und moralischem Handeln nicht kennen und auch nicht erfassen können?

In diesem Artikel schauen wir uns philosophische Sichtweisen an und wir hinterfragen die Bedeutung von Respekt in Bezug auf unsere Hunde.

Und wer weiß, wenn dich das nächste Mal ein Hund anspringt, denkst du vielleicht nicht sofort „Der ist aber respektlos!“ 😉

Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen und Philosophieren!  ☕📚🐕


Die philosophische Perspektive


In der Philosophie, besonders bei Immanuel Kant, ist Respekt ein ethischer Grundpfeiler.

Respekt bedeutet, den anderen als moralisches Wesen zu achten, unabhängig von persönlichen Gefühlen oder Interessen. Es ist eine Haltung der Anerkennung der Würde und Rechte des Individuums.

Kant argumentiert, dass Respekt eine moralische Verpflichtung ist, die auf der Anerkennung des „kategorischen Imperativs“ beruht, also der Grundregel, dass Menschen einander nicht als Mittel zum Zweck behandeln dürfen und die Autonomie des Einzelnen respektieren sollten.

Nach Kants Ansicht heiligt der Zweck also nicht die Mittel. Die moralische Qualität einer Handlung sollte unabhängig von ihrem Ziel beurteilt werden.

Dies ist eine sehr starke Aussage. Sie zeigt uns, dass Respekt nicht nur eine Worthülse ist, sondern wirklich in unserem alltäglichen Miteinander gelebt werden kann.

Welche Konsequenzen hätte die Umsetzung von Kants These auf unser tägliches Denken und Handeln?

Und was bedeutet es, wenn wir sie auch im Umgang mit nichtmenschlichen Tieren berücksichtigen? Wenn wir Tiere nicht mehr als Mittel zum Zweck betrachten und die Art, wie wir sie behandeln, aufgrund dieser These in Frage stellen?

In Kants Philosophie beziehen sich die Grundsätze des kategorischen Imperativs primär auf den Umgang zwischen Menschen und weniger direkt auf Tiere. Kant sah Tiere nicht als moralisch gleichwertig an, weil er der Auffassung war, dass sie keine Rechte im menschlichen Sinne haben. Ihnen fehle die Fähigkeit zur Vernunft und zur moralischen Reflexion, so seine Begründung.


Ein kleiner Ausflug in die Tierethik


Lass uns mal schauen, wie andere Philosophen hierüber dachten. Von Jeremy Bentham stammt die berühmte Aussage: „The question is not, can they reason? Nor can they talk? But, can they suffer?”

Sie besagt, dass die Fähigkeit von Tieren zu denken oder zu sprechen nicht relevant ist, wenn es darum geht, wie wir sie behandeln sollten. Entscheidend ist vielmehr, dass Tiere in der Lage sind zu leiden. Da sie Schmerz und Leid empfinden können, müssen wir unsere moralische Verantwortung ihnen gegenüber ernst nehmen.

Dieser Gedanke hat weitreichende Auswirkungen auf unseren Umgang mit Tieren. Bentham stellt klar, dass das Leid von Tieren genauso moralisch relevant ist wie das von Menschen. Das bedeutet, dass Tiere nicht als bloße Dinge behandelt werden dürfen, sondern dass wir sie vor unnötigem Leid schützen müssen.

Benthams Ansicht führte zu modernen Überlegungen über Tierrechte und die ethischen Prinzipien im Umgang mit Tieren, zum Beispiel in der Tierhaltung, Forschung oder in der Lebensmittelherstellung.

Sein Satz hat auch den Tierschutz und die Tierrechtsbewegung inspiriert, die sich dafür einsetzen, das Leiden von Tieren zu minimieren und ihre Rechte anzuerkennen.

Falls du das Thema Tierethik spannend findest, dich aber der Einstieg über ältere philosophische Werke Überwindung kostet, ist das Buch „Animal Liberation“ von Peter Singer bestimmt interessant für dich.

Peter Singer bezieht sich stark auf Jeremy Bentham und seine Philosophie, insbesondere auf dessen Grundsatz, dass die Fähigkeit zu leiden das entscheidende Kriterium für die moralische Berücksichtigung eines Lebewesens ist.

Dies wird zum zentralen Prinzip in Singers Argumentation für Tierrechte.

  • Gleiches Interesse, gleiche Berücksichtigung: Singer baut auf Benthams Prinzip der maximalen Minimierung von Leid auf. Beide Philosophen vertreten die Ansicht, dass alle fühlenden Wesen gleiches moralisches Gewicht verdienen, unabhängig von ihrer Spezies. Singer nennt dies das Prinzip der Gleichheit der Interessen.
  • Speziesismus: In Bezug auf Bentham kritisiert Singer den Speziesismus – die Diskriminierung von Lebewesen aufgrund ihrer Spezieszugehörigkeit. So wie Bentham sich gegen die Ungleichbehandlung von Menschen auf Basis von Rasse oder Geschlecht wandte, sieht Singer eine Parallele in der Art, wie Tiere aufgrund ihrer Spezies diskriminiert werden. Auch Bentham argumentierte, dass die Trennung zwischen menschlichem und nicht-menschlichem Leiden willkürlich ist.
  • Ethik der Konsequenzen: Singer vertritt die Ansicht, dass Handlungen danach beurteilt werden sollten, ob sie das Leid eines fühlenden Wesens erhöhen oder verringern. Bentham legte den Grundstein für diese Denkweise, indem er das Leid in den Mittelpunkt moralischer Überlegungen stellte.
  • Moralische Berücksichtigung von Tieren: Bentham legte nahe, dass Tiere Rechte haben sollten, weil sie leiden können. Singer greift diesen Gedanken auf und erweitert ihn zu einer systematischen Kritik an der Art, wie Tiere in der modernen Gesellschaft ausgebeutet werden, sei es in der Landwirtschaft, der Forschung oder der Unterhaltung.

Ethik und der damit verbundene Begriff des Respekts sind also zentrale und wichtige Bereiche der Philosophie.

Doch inwiefern sind diese Konzepte auf die Perspektive unserer Hunde übertragbar?


Tiere verstehen die Welt nicht in moralischen Kategorien und handeln auch nicht nach ethischen Prinzipien. Diese Aspekte sind menschliche Konstrukte, die stark von zeitgenössischen und kulturellen Einflüssen geprägt werden.

Hunde zeigen Verhaltensweisen nicht aus einem Mangel an Respekt, sondern weil diese in einem bestimmten Kontext biologisch sinnvoll sind und zugrundeliegende Bedürfnisse erfüllen.

Aber woher kommt dann der Gedanke, dass Hunde uns zu respektieren haben?

In der traditionellen Hundeerziehung, die noch immer sehr stark von der längst widerlegten Dominanz- und Rangordnungstheorie geprägt ist, wird angenommen, dass Hunde versuchen, ihre Menschen zu dominieren.

Diese Theorie basiert auf der Idee, dass Hunde ständig bestrebt sind, im Rang höher zu stehen. Hierdurch entwickelte sich die Annahme, dass problematisches Verhalten ein Ausdruck von mangelndem Respekt gegenüber dem Besitzer sei.

Hunde sehen ihr Zusammenleben mit uns jedoch nicht in einer Alpha-bis-Omega-Hierarchie. 

Sie streben nicht danach, uns zu beherrschen oder zu dominieren. Stattdessen möchten sie eine Bindung zu uns aufbauen, welche auf Kooperation und Vertrauen basiert.

Unsere felligen Gefährten sind also nicht aus Respektmangel „ungehorsam“, sondern weil sie mit einer Situation überfordert sind, weil ihre Bedürfnisse nicht richtig verstanden werden oder weil das Verhalten in der Vergangenheit verstärkt, bzw. erlernt wurde.

Die Vorstellung, dass ein Hund seine Bezugsperson respektieren muss, spiegelt also eher menschliche Hierarchievorstellungen wider als die tatsächliche Psychologie von Hunden.

Betrachte es einmal aus dieser Perspektive: Für deinen Hund ist sein Problemverhalten die Lösung.

Mit Verhaltensweisen, die wir vermenschlicht als respektlos bezeichnen, suchen Hunde oft nach Orientierung und Hilfe.

Springt dein Hund an dir hoch, ist das erstmal ein Zeichen dafür, dass er dir vertraut. Er möchte dir etwas sagen und fühlt sich sicher genug bei dir, um es auf seine Art mitzuteilen.

Erinnere dich einmal an Situationen, in denen dein Hund dich vermeintlich respektlos behandelt hat.

Wollte er stürmisch an dir hochspringen, weil er sich so gefreut hat, dich wiederzusehen?

War er im Training überfordert und wollte an dir hochspringen oder sogar aufreiten?

Wollte er dir während einer Gassirunde sagen, dass ihr viel zu nah an einem anderen Hund vorbeigeht?

Oder fiel es ihm einfach schwer, lange genug abzuwarten, bis du mit der Zubereitung seines Futters fertig warst?


Das Verhalten deines Hundes ist kontextbezogen und wird von mehreren Faktoren beeinflusst. „Respektlosigkeit“ gehört jedoch nicht dazu. Sie ist nicht Teil einer seriösen Verhaltensanalyse. Sie ist kein bedingender Faktor, kein Auslöser und auch keine Handlungsmotivation.


Die oft gestellte Frage „Wie bringe ich meinen Hund dazu, mich zu respektieren?“ sollte also ganz neu aufgerollt werden.

Sie wird meistens gestellt, wenn ein Hund eine Übung nicht ausführt oder ein Signal ignoriert.

Hunde können „respektvolles“ Verhalten auf freundliche Art mit positiver Verstärkung lernen. Beispielsweise kann man sie begrüßen und in dem Moment belohnen, wenn ihre vier Pfoten noch auf dem Boden sind.

Sie können aber auch lernen, dass das Hochspringen an Menschen mit Hemmung, Bedrohung, Schrecken und Schmerz bestraft wird. Bringt dies nichts, wird ihren Bezugspersonen vermittelt, dass ihr Hund sie nicht ernst nimmt und sie sich mehr durchsetzen müssen, um Respekt einzufordern.

Dies wird dann Training auf sozialer Ebene genannt, oder gerne auch „Beziehungsebene“. Es geht also wieder mal um das veraltete Konzept von Rang und Status zwischen Mensch und Hund.

Was wollen Schlagwörter wie „Vor der Erziehung kommt die Beziehung“ eigentlich aussagen? Eine Erziehung, die auf Vertrauen und einer sicheren Bindung basiert, ist gleichzeitig auch gut für die Beziehungsentwicklung. Erziehung und Beziehung passieren parallel.

Offensichtliche Begriffe wie „Rangreduktionsprogramm“ geben dir einen deutlichen Hinweis darauf, welche Trainingsphilosophien in einer Hundeschule praktiziert werden. Bei Begriffen wie „häusliches Programm“ ist das schon schwieriger. Frage genau nach und lass dir erklären, was hinter einem Trainingskonzept steckt.

Es ist manchmal nicht sofort ersichtlich, dass es um die alte Dominanztheorie geht, gut versteckt hinter einem neuen Anstrich.


Das Problem mit den Etiketten und Stempeln


Unser Gehirn will keine Energie verschwenden und arbeitet sehr effizient.

Neben der Erfolgsdevise „Das haben wir doch schon immer so gemacht“, suchen wir auch gerne nach Quick-Fixes à la „5 einfache Übungen für eine gute Bindung“. Darüber hinaus denken wir gerne in Schubladen. Eindrücke und Erfahrungen zu kategorisieren vereinheitlicht unsere Denkprozesse und benötigt weniger Arbeitsspeicher.

Ein Problem zu haben, fühlt sich nicht gut an. Deswegen bevorzugen wir schnelle und simple Lösungen, um diesen unangenehmen Zustand rasch hinter uns zu lassen.

Anstatt ein konkretes Verhalten situativ und kontextbezogen zu analysieren, ist es einfacher und somit viel attraktiver für unser Gehirn, es auf vermeintliche Eigenschaften des Hundes zurückzuführen.

„Der Hund will die Übung jetzt nicht ausführen, weil er …. ist.“ Füge ein beliebiges „Etikett“ ein: frech, unartig, aufdringlich, hinterlistig, oder eben auch respektlos.

Wörter und Bezeichnungen haben großen Einfluss darauf, wie wir denken und fühlen. Und dies wiederum bestimmt unser Handeln, also wie wir mit unseren Hunden umgehen und wie wir mit ihnen trainieren.

Hierzu gibt es ein interessantes Experiment des Psychologen David Rosenhan:

Acht gesunde Personen (inklusive Rosenhan selbst) gaben vor, psychische Symptome wie das Hören von Stimmen zu haben, um sich in psychiatrische Kliniken einweisen zu lassen.

Einmal eingewiesen, verhielten sie sich absolut normal und berichteten keine weiteren Symptome. Trotzdem wurden sie alle als psychisch krank diagnostiziert!

Erschreckend, was so ein Stempel oder Etikett mit unserer gesamten Sichtweise auf eine Person macht, oder?

Diese Voreingenommenheit zeigen wir nicht nur bei Personen. Auch Hunde werden unbewusst in bestimmte Schubladen gesteckt, sobald sie ein „Etikett“ tragen.

Sei keine Etikettiermaschine und setze stattdessen die Verhaltens-Brille auf! 😊

„Frech“ oder „respektlos“ sind keine Verhalten.

Schau dir die Auslöser und alle bedingenden Faktoren vor dem Verhalten an.

Beschreibe das Verhalten ohne zu interpretieren und beobachte, welche Konsequenzen, bzw. Verstärker, dieses Verhalten aufrechterhalten.


Fazit: Respekt ist kein Hundekonzept


Wir haben den Begriff Respekt und seine Definition im philosophischen Sinne betrachtet und herausgefunden, dass dieses Konzept so nicht auf die Sichtweise von Hunden übertragbar ist. Sie handeln nach ihren Bedürfnissen, nicht nach moralischen Kategorien.

Dabei haben wir entdeckt, dass Sätze wie „Dein Hund respektiert dich nicht“ nur als neuer Anstrich für die Aussage „Dein Hund will dich dominieren“ dienen. Dahinter steckt der Versuch, überholte und unfreundliche Erziehungsmaßnahmen rechtfertigen zu wollen.

Zum Schluss haben wir noch beleuchtet, was solche Etiketten mit uns machen und dass sie uns bei der Durchführung einer zielführenden Analyse und Verhaltensänderung im Weg stehen. 

Statt „Respekt“ zu verlangen, sollten wir lernen, das Verhalten unserer Hunde als Ausdruck von Emotionen und Bedürfnissen zu verstehen und sie entsprechend zu begleiten.

Hierzu ein Buchtipp von Nala 🐶

Tender Paws: How Science-Based Parenting Can Transform Our Relationship with Dogs

Autorin: Wendy Lyons Sunshine

Furry Fellows_Buchtipp Tender Paws

Quellen:

  • Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
  • Jeremy Bentham: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation
  • Peter Singer: Animal Liberation
  • David Mech (1999): Alpha status, dominance, and division of labor in wolf packs
  • John W.S. Bradshaw, Emily J. Blackwell, Rachel A. Casey (2009): Dominance in domestic dogs - useful construct or bad habit?
  • David L. Rosenhan (1973): On Being Sane in Insane Places